Als junger Nachwuchswissenschaftler 1989 in Ost-Berlin
Datum: 9.11.2024
Der heutige Grünen-Landtagsabgeordnete Markus Rösler blickt auf ein einzigartiges Erlebnis zurück, das nun 35 Jahre zurückliegt: den Fall der Berliner Mauer. Als junger Student aus Gerlingen befand er sich am 8. November 1989 in Ost-Berlin, um für sein Buch „Naturschutz in der DDR“ zu recherchieren. Bei einem Interview mit ostdeutschen Naturschützern spürte er die Spannung der Zeit, doch dass nur einen Tag später die Mauer fallen würde, ahnte niemand.
„Die Atmosphäre war regelrecht elektrisch, man fühlte, dass etwas in Bewegung war“, erzählt Rösler. Am Abend des 9. November verließ er spontan mit Kommilitonen seine West-Berliner Studentenwohnung, nachdem im Radio die Nachricht von der Grenzöffnung an der Bornholmer Straße verkündet wurde. Auf Fahrrädern machten sie sich auf den Weg zum Brandenburger Tor. „Tausende Menschen strömten zu den Grenzübergängen, die Stimmung war einzigartig – ein Moment, den ich nie vergessen werde.“
Besonders eindrucksvoll blieb ihm eine Szene am Brandenburger Tor im Gedächtnis: Eine ältere Frau aus dem Osten bat einen jungen DDR-Grenzer, sie einmal über die Grenze zum symbolträchtigen Tor zu lassen. Ohne Zögern nahm er sie an der Hand und führte sie über die bisher unüberwindbare Grenze. „Diese Szene war zutiefst berührend und steht für mich sinnbildlich für den friedlichen Wandel, der damals möglich wurde“, so Rösler.
Am darauffolgenden Tag war West-Berlin im Ausnahmezustand: Schlangen bildeten sich vor Banken, um das Begrüßungsgeld abzuholen, und vor Sex-Shops, um bisher Unerlaubtes anzuschauen, während der Duft von Zweitaktmotoren durch die Straßen zog. „Die ganze Stadt war in Aufruhr, die Freude war überall zu spüren“, beschreibt Rösler die Euphorie dieser Tage. Währenddessen erhielt er einen emotionalen Anruf von einer Tante aus Gerlingen, die ihm spontan 100 Mark schickte, um DDR-Bürger zu bewirten – ein Zeichen der großen Freude über die Wiedervereinigung der Familien.
Rösler war 1988 einer der ersten 15 Bürger der BRD, die über ein neues "Austauschprogramm von Nachwuchswissenschaftlern" zwischen BRD und DDR hinter die Kulissen des DDR-Sozialismus schauen durfte: "Das war in Greifswald, neben Dresden das zweite "Tal der Ahnungslosen", also ohne Westfernsehen. Und genau dort arbeitete ich mitten im staatlichen Institut für Landschaftsforschung und Naturschutz in Greifswald, das zugleich West-Kontakt-Verbot hatte! Eine historisch absolut einmalige Situation, in der ich als "Wessi" wohl ziemlich einzigartig auch DDR-Interne Verwaltungsabläufe beobachten und verstehen konnte.", so Rösler, der 1989/1990 auch ein Buch über "Naturschutz in der DDR" schrieb. "Hilfreich für das Verständnis war auch unser jahrzehntelanger regelmäßiger Kontakt mit Verwandten in Halberstadt und Kroppenstedt im heutigen Sachsen-Anhalt mit wöchentlichen Briefen, mit Paketen, überwachten Telefonaten und Besuchen samt Grenzkontrollen."
Auch nach dem Mauerfall blieb Rösler dem Osten verbunden: Ab Januar 1990 war er am Aufbau des Naturschutzbundes zuerst in der DDR und dann am Zusammenschuss mit dem damaligen Deutschen Bund für Vogelschutz und heutigen NABU verantwortlich. Er unterstützte den heutigen Alternativen Nobelpreisträger Prof. Dr. Michael Succow beim Nationalparkprogramm der DDR.
35 Jahre später zieht Rösler eine Bilanz: „Der Mauerfall brachte eine rasante Veränderung. Viele Menschen in der DDR hätten sich jedoch mehr Zeit für den Übergang gewünscht. Ich war und bin der Meinung, dass nach 40 Jahren Diktatur auch 40 Jahre Unterstützung gerechtfertigt sind.“ Rösler plädiert weiterhin dafür, den Solidaritätszuschlag beizubehalten, um bestehende Ungleichheiten zu überwinden.